Donaueschingen 1926

Leitung: Harry D. Barth

Drei lustige Märsche, op. 44 – Ernst Krenek
Spiel für Militärorchester (später: Spiel für Blasorchester) – Ernst Toch
Kleine Serenade für Militärorchester – Ernst Pepping
Konzertmusik für Blasorchester, op. 41 – Paul Hindemith
Promenadenmusik für Militärorchester – Hans Gál

Donaueschingen 1926: Gebrauchsmusik für Blasorchester von Wolfgang Suppan

In einer Phase wirtschaftlicher Depression und politischer Hoffnungslosigkeit, 1921, bot das Fürstlich-Fürstenbergische Haus in Donaueschingen einer jungen Komponistengeneration Mitteleuropas die Chance, neue Musik zu präsentieren. Paul Hindemith, der seit 1922 dem Arbeitsausschuss der „Donaueschinger Kammermusiktage“ angehörte, wollte den Auftrag in zweifacher Hinsicht erfüllen: Einmal als Suche nach neuen klanglichen Ausdrucksformen, die über Schönbergs und Hauers „Wiener Schule“ hinausführen sollten, zum anderen in der Erschließung neuer, bislang abseits stehender Gesellschaftsschichten für Neue Musik. In den zweiten Bereich fällt Hindemiths „Entdeckung“ des ländlichen und kleinstädtischen Sänger- und Amateur-Blasmusikwesens.

So kam es im Verlauf der Vorbereitung des 1926er-Festes zur Idee, Komponisten einzuladen, „Gebrauchsmusik für Blasorchester einzusenden; denn was an neuer Militärmusik vorhanden ist, ist Bearbeitung, Surrogat“ (Hindemith).

Hindemith selbst schrieb dafür die „Konzertmusik“, op. 41. Ernst Pepping, der „dankbar“ Hindemiths „ausgezeichneten Vorschlag“ aufgriff, sandte die „Kleine Serenade“ ein. Ernst Krenek, dem die Arbeit „viel Spaß“ bereitete, komponierte „Drei lustige Märsche“, op. 44. Von Ernst Toch kam das „Spiel für Militärorchester“ und von Hans Gál die „Promenadenmusik“. Darüber hinaus hatten Paul Dessau und Felix Petyrek Stücke angekündigt, über deren Verbleib nichts bekannt ist; nur Alexander Tscherepnin sagte ab. Am 24. Juli 1926 fanden unter der Leitung von Hermann Scherchen und Heinrich Burkard die Uraufführungen der Werke von Krenek, Pepping, Toch und Hindemith statt. Es spielte die Militärmusik des Ausbildungsbataillons des Infanterie-Regiments 14 aus Ansbach/Donaueschingen. Im Rahmen einer inoffiziellen Wiederholung des Konzertes, zwei Tage später, kam zudem Gáls „Promenadenmusik“ zur Uraufführung.

So enttäuschend es für Initiatoren wie Komponisten gewesen sein muss, dass die Adressaten dieser Musik, die Blasmusiker des Südwestdeutschen Raumes, dem Donaueschinger Fest ferngeblieben waren und damit der erstrebte Effekt einer „Zusammenarbeit zwischen den produzierenden Musikern und den konsumierenden Musikamateuren“ (Hindemith) sich nicht einstellte, – als so bedeutungsvoll stellt sich der 1926er-Anstoß heute dar. In der Tat waren alle Donaueschinger Stücke „viel zu schwierig, gemessen an der durchschnittlichen Leistungsfähigkeit solcher Kapellen“, wie August Richard in der Zeitschrift „Das Orchester“ (Jg. 3, 1926, Nr. 17, S. 196) feststellte. Andererseits fanden jene Donaueschinger, die in den dreißiger Jahren als Emigranten in die USA kamen, dort ein hochentwickeltes Schulblasmusikwesen vor, das gerne nach solchen Kompositionen griff. Für Hindemith, Krenek und Toch erwiesen sich die 1926er-Blasorchesterwerke geradezu als Einstiegshilfe in die USA-Musikszene, und alle drei schufen in den Folgejahren weitere Auftragswerke für amerikanische Blasorchester.

Als Repertoirestücke kehrten damit die 1926 uraufgeführten und in Europa vergessenen Werke von Hindemith, Krenek und Toch im neuaufblühenden Blasmusikwesen Mitteleuropas der sechziger und siebziger Jahre in ihr Ursprungsland zurück. Und hier setzte nun die – erfolgreiche – Suche nach den verschollenen Stücken von Gál und Pepping ein.

Wollte man den jugendbewegten Anstoß zur Blasmusik-„Gebrauchsmusik“-Aktion und die in diesem Zusammenhang entstandenen Werke des Jahres 1926 kurz charakterisieren, so erscheint es plausibel, auf die englische Gruppe um Edward Elgar, Gustav Holst, Percy A. Grainger und Ralph Vaughan Williams hinzuweisen. Es gibt keine direkten Zeugnisse dafür, aber mit Sicherheit hat Hindemith diese Namen und ihre einschlägigen Kompositionen gekannt. Denn ebenso wie Holst und Grainger, so griffen auch die „Donaueschinger“ die leicht überschaubaren vor-romantischen Suiten- und Variationen-Formen wieder auf, sie orientierten sich an überlieferten, bekannten Volksliedmelodien – und sie setzten die Blasinstrumente als melodieführende Instrumente ein (distanzierten sich also von der tuttiverstärkenden Dreiklangsmotivik, die den Blechbläsern im Symphonieorchester bis dahin in der Regel eigen war).

Hindemiths „Konzertmusik“ zeigt dies besonders deutlich, mit der festlich-barocken Einleitung und den nachfolgenden Prinz-Eugen-Variationen. Tochs „Spiel“ wird von Hermann Ensslin (Neue Musik-Zeitung 47, 1926, 2. August-Heft, S. 481 – 483) als „famoses“ Stück beschrieben: Er „hatte den Einfall, eine rokokoartige, ganz durchsichtige Gartenmusik mit viel Geschick zu schreiben, dass man sich ihrem Geschmack und Klangzauber beugte, bevor man Zeit hatte, die eigentliche musikalische Substanz genauer anzusehen“. Willy Eickenmeyer bemerkt zu Toch: „Eine klangkombinatorisch reizvolle, kontrastreiche und erfindungsfrische Unterhaltungsmusik“ (Allgemeine Musik-Zeitung 53, 1926, Nr. 32/33, S. 627f.). Die Märsche Kreneks seien „in ihrer Parodistik geradezu überwältigend, dabei nicht billig, sondern höchst geistreich in der Parodie österreichischer Militärmusik“, findet der berühmte Mozart-Biograph Alfred Einstein in der Zeitschrift für Musik (Jg. 93, 1926, Heft 9, S. 495 – 497). Gál, der seine Komposition für das Hauptkonzert zurückgezogen hatte, lässt den Stadtgarten-, den Platzkonzert-, eben den Promenadenmusik-Ton neu aufleben. Allein Peppings Stück ist einer wahre Avantgarde (für die damalige Zeit) – und daher am weitesten vom Blasmusik-Klischee (und auch von der Holst-Gruppe) entfernt; darüber sind sich alle Rezensenten einig.

Was 1926 als „Gebrauchsmusik“ verstanden wurde, hält heute in Blasmusikkreisen sowohl Amerikas wie Europas und Japans artifiziellen Ansprüchen stand. Auch darin zeigt sich, wie fortschrittlich, wie weit seiner Zeit voraus Hindemith agierte. Und obgleich die Verantwortlichen des Blasmusikwesens der zwanziger Jahre abseits standen, so darf man doch von einem Wendepunkt sprechen, der die gesellschaftliche Aufwertung des Blasmusikwesens in Mitteleuropa einleitete.